Bern, 15. April 2025 – Mit Bestürzung haben die Patientenorganisationen Long Covid Schweiz und Long Covid Kids Schweiz von der Schliessung der Post-Covid-Sprechstunde am Kinderspital Zürich Kenntnis genommen. Mit dem Wegfall dieser spezialisierten Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche mit Long Covid in der Schweiz fehlt den ca. 18’000 Betroffenen und ihren Familien die beste Anlaufstelle. Kinder und Jugendliche mit Long Covid und ME/CFS sind weiterhin massiv unterversorgt und die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) von den Kantonen geforderte Sicherstellung der Versorgung ist nicht gewährleistet und wird durch die Schliessung dieser wichtigsten Sprechstunde sogar noch verschlechtert.
In einem Schreiben an die zuweisenden Ärztinnen und Ärzte hat das Kinderspital Zürich darüber informiert, dass die interdisziplinäre Post-Covid-Sprechstunde für Kinder und Jugendliche nicht weitergeführt werde und das Kinderspital nicht «in der Lage» sei, eine interprofessionelle Sprechstunde für anhaltende Beschwerden anzubieten.
Long Covid Schweiz und Long Covid Kids Schweiz sind zutiefst bestürzt über diesen Entscheid. Das BAG hat bereits Ende 2023 in einem Bericht festgehalten, dass die Kantone u.a. in den Bereichen Diagnose, Behandlung, Versorgung und Finanzierung das Angebot für Betroffene verbessern und in Zukunft sicherstellen sollen. Ebenso hatte sich die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats vor etwas mehr als einem Jahr, am 23. Februar 2024, mit dem Thema Long Covid beschäftigt und festgehalten, dass «noch erhebliche Herausforderungen zu überwinden sind, bis eine angemessene und wirksame Versorgung der erkrankten Personen sichergestellt ist und dass sie die Schaffung von Kompetenzzentren begrüssen würde».
Schätzungen aus Grossbritannien und Studien aus den USA zufolge sind etwa 1 Prozent der Kinder und Jugendlichen – rund 18’000 in der Schweiz – von Long Covid betroffen, viele von der schweren neuroimmunologischen Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis (ME). Eine Studie aus der Schweiz zeigt, dass zwei Drittel der Betroffenen bis zu ihrem 18. Geburtstag nie die korrekte Diagnose ME oder chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) erhalten.
Die Versorgung von Kindern, die von Long Covid oder ME/CFS betroffen sind, ist in der Schweiz schon jetzt unzureichend. Durch die Schliessung der Sprechstunde am Kinderspital Zürich verschärft sich diese ohnehin schon angespannte Situation weiter. Die betroffenen Kinder, ihre Familien und Angehörigen bleiben sich selbst überlassen. Sie nehmen Risiken und Kosten auf sich, um ausserhalb existierender Versorgungsstrukturen und über die Landesgrenzen hinaus eine Versorgung zu erhalten, oder sie organisieren Crowdfundings, um von den Krankenkassen nicht übernommene Hilfsmittel oder Behandlungen zu bezahlen.
Es gibt bis heute nur wenige Kinderärztinnen und Kinderärzte in der Schweiz, die sich mit Long Covid oder ME/CFS befassen. Bereits heute organisiert Long Covid Kids Schweiz regelmässig Termine für Kinder und Jugendliche bei Erwachsenenmedizinerinnen und -medizinern, um die fehlende Grundversorgung zu ergänzen.
Weiter betreut die Patientenorganisation auch Familien und Angehörige bei der Versorgung von Betroffenen und hilft bei Fragen bezüglich Schule, Ausbildung und Sozialversicherung.
«Die Schliessung ist ein schwerer Schlag für betroffene Familien. Insbesondere die schwerbetroffenen Kinder und Jugendlichen sind aufs Know-how des Kispi’s angewiesen», erklärt Chantal Britt, Mit-Gründerin von Long Covid Kids Schweiz und Präsidentin von Long Covid Schweiz. «Die Sprechstunde am Kispi war nicht nur wegen ihrer Kompetenzen im Bereich ME/CFS die wichtigste, sie hatte auch mit Abstand den besten Ruf und die höchsten Fallzahlen. Kinder und Jugendliche können nicht ohne Weiteres von bereits überfüllten Sprechstunden für Erwachsene übernommen und über Jahre hinweg begleitet werden.»
Durch die Schliessung der Sprechstunde entsteht nicht nur eine erhebliche Wissenslücke innerhalb der Ärzteschaft, es wird zugleich auch ein falsches Zeichen gesetzt. Zwar wird im Schreiben zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei Long Covid nicht um ein völlig neues Krankheitsbild handelt und postinfektiöse Erkrankungen wie ME/CFS bereits vor der Pandemie bekannt waren. Doch schon vor Covid-19 war die Versorgung von ME/CFS-Betroffenen in der Schweiz unzureichend – und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Die Eröffnung mehrerer Sprechstunden in verschiedenen Kantonen hatte bei den Betroffenen die Hoffnung geweckt, dass ihre Anliegen endlich ernst genommen werden und die Versorgungslage mit diesen ersten Anlaufstellen nachhaltig verbessert wird. Inzwischen zeigt sich jedoch, dass die Sprechstunden mehrheitlich aus Kostengründen wieder geschlossen wurden und die Betroffenen erneut auf sich allein gestellt sind. Zwar wird in dem Schreiben des Zürcher Kinderspitals ausdrücklich erwähnt, dass es weiterhin eine «relevante Zahl» an Zuweisungen gibt und «die Familien würden eine umfassende Begleitung bedürfen und verdienen». Umso unverständlicher ist es für Long Covid Schweiz und Long Covid Kids Schweiz, dass die Sprechstunden gerade jetzt eingestellt werden.
«Die Tatsache, dass das Kispi Schulabsentismus als häufigsten Zuweisungsgrund nennt, gibt uns zu denken», sagt Chantal Britt. Pro Juventute spricht von Schulabsentismus, wenn Schülerinnen und Schüler der Schule fernbleiben, ohne krank zu sein – also Schule-Schwänzen oder Schulverweigerung. Im Zusammenhang mit einer schweren Erkrankung wie Long Covid oder ME/CFS ist der Begriff inkorrekt, inakzeptabel und Teil der Stigmatisierung der Betroffenen und des Medical Gaslighting, also dem Bagatellisieren der Beschwerden.
Für die über 300’000 Long Covid-Betroffenen und 60’000 ME/CFS-Betroffenen in der Schweiz ist die Versorgungslage insgesamt mehr als prekär: Es gibt nur wenige kompetente Fachpersonen. Es braucht mehr Angebote für die Betroffenen, damit Erwachsene voll zur Arbeit zurückkehren können und Kinder und Jugendliche die Chance auf einen erfolgreichen Schulabschluss und Ausbildung
haben.
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